Donnerstag, 4. September 2014

Freiwillig faul.



                            

Himmel, da lese ich nun seit wasweißichwielange über die Probleme westlicher Entwicklungsarbeit it afrikanischen Ländern und trotzdem war ich auf DIESE Begrenztheit nicht vorbereitet.
Wir wollen fair bleiben: es gibt ganz wunderbare Freiwillige. Die spielen Gitarre, singen, tanzen, denken sich Spiele aus und sind für die Kinder da.
Aber die Mehrheit, zumindest hier, wo ich so bin und das sind immerhin 2 Projekte und eine Schule (und außerdem inzwischen einige auf Reisen getroffene, die ihre Erfahrungen so erzählt haben) lebt eher das Motto: "oh Sonne. Zeit, für ein Selfie." wird danach noch das Tubetop ausgepackt (man will ja keine Abdrücke aus Afrika mitbringen) fühle ich mich dann doch sehr an fehlgeleitete Touristen in Hotpants in ägyptischen Tempeln erinnert (Sarah, du weißt, was ich meine...)
Versteht mich nicht falsch, manchmal ist eine Situation einfach fotowert, wer mich kennt, weiß, dass ich keineswegs die letzte bin, die zur Kamera greift (das Wort Kameradiktator verfolgte mich gelegentlich). Trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen mal ein Foto machen -wenn man grad eh die Hände frei hat und es passt- und den ganzen Tag nichts anderes tun. 
An dieser Stelle mal ganz offiziell die Erklärung auf eine Frage die immer wieder kommt: NEIN. Ich mache nicht immer nur Urlaub. Aber wenn ich arbeite, mache ich eben nicht so viele Fotos. Selbiges gilt für Studieren etc. Bei Interesse kann ich dies gerne tun, ich bezweifle aber, das irgendjemand (inkl. mir) Interesse daran hat, 10.000 Fotos von mir in der Uni oder beim arbeiten auf facebook zu sehen. Vermutlich gibt es auch nicht so viel Interesse, Fotos von mir am Strand zu sehen aber über die freue wenigstens ich mich, wenn ich dann wieder arbeite und mich an schönere Zeiten erinnern kann. In diesem Sinne: ich arbeite eher mehr als dass ich hier oder in Frankreich oder sonst wo Urlaub mache (naja sagen wir ausgeglichen :)) aber Himmel, das muss ich doch nicht auch noch dokumentieren ;)
Das Fotografieren geht hier jedenfalls teilweise soweit, dass einige Freiwillige Kinder auf den Arm nehmen (natürlichungeachtet dessen, was betreffendes Kind gerade tut), einmal knipsen (Mami, falls du wieder jugendsprachüberfordert bist: ein Selfie ist einfach nur ein Foto von sich selbst, indem man die Kamera auf Armlänge weg hält ;)) und dann wird das Kind wieder abgestellt. Da gerade Waisenhauskinder aber unheimlich gern knuddeln und kuscheln, lassen sie sich meist nicht einfach abstellen. Das nächste was ich sah: die gerade noch so herzlich lachende Freiwillige, die auf Facebook nun bestimmt hunderte Kommentare unter ihrem Armes-Kind-Foto hat ("oooooh wie süß, du machst wirklich einen tollen Job, bewuuuuundernswert!"), schob das Kind, was sie grad hochgehoben hatte und was sich nun an ihr Bein schmiegte unsanft weg und ging aus dem Raum. Zurück blieb ein Kind mit fragendem Blick und eine Leonie, die die nächsten 10 Minuten mit Flugzeug spielen verbrachte, um es aufzuheitern. Und nun bitte kein "ooooooh wie bewuuuuuundernswert!" sondern nur ein "so gehört das ja schließlich auch.". Denn darum sollten die meisten von uns ja eigentlich hier sein. Sollten. Eigentlich. Es ist schon krass, wieviele eben nicht deswegen hier sind. Oder vielleicht sind sie es und sie wissen es einfach nicht besser. Aber so oder so. Ich sehe mehr Gummibärchenverteiler als Spielespieler, mehr in-der-Sonne-Sitzer als Betreuer und mehr Fotos-Macher als Haus-Bauer. Und das macht mich traurig. Neulich spielten rund 20 Kinder "lass uns vom Tisch springen" je verrückter, desto besser. Die 3(!) Nachmittagsbetreuer saßen daneben und spielten mit ihren Handys. Dass kein Kind sich ernsthaft verletzte, verwundert mich immernoch. Die Antwort, auf meinen fragenden Hinweis, ob das nicht etwas gefährlich sei und ob man nicht etwas spielen sollte war: "das sind Straßenkinder. Die haben schon gefährlichere Situationen erlebt. Vom Tisch springen ist besser als auf der Straße leben" richtig. Aber deswegen gleich gut? ich denke nicht. An dieser Stelle muss ich schamesrot der Ehrlichkeit halber zugeben, dass dies der Moment war, an dem ich für diesen Tag resignierte und nach Hause ging. Ich hätte ein Spiel anfangen können aber in dem Moment war in mir nix mehr Kreatives. Drei Betreuer und keiner tut was. Ich bin für nicht mal volle 3 Monate da und helfe in dem Projekt nur freiwillig neben meiner Schule, die sind dort fest angestellt und haben den ganzen Nachmittag zur Verfügung. Vielleicht resigniert man manchmal, ich könnte es verstehen. Viele der Kids sind geistig oder körperlich behindert, die Aufmerksamkeitsspanne ist dermaßen kurz, dass meist schon ein "bei Müller's hat's gebrannt" eine echte Herausforderung darstellt und es ist verdammt heiß. Aber dafür gibt es ja grad 3 Betreuer. Kreativität ist Teamsache. Fällt einem mal nix ein, hilft der andere aus. Wenn aber alle drei auf's Handy starren, wird das nix. Außerdem sind die Kinder, wenn auch vielleicht nicht so fix im Lernen unglaublich begeisterungsfähig und ganz wunderbar. Sie freuen sich über jede Person, die in den Raum kommt, haben ständig Ideen und unglaublich viel Energie und sie sind unglaublich liebevoll, jeder Besucher wird geherzt, geknuddelt und geknutscht. Manchmal etwas stürmisch aber immer wieder mit unglaublich viel Freude und das ist wirklich wunderschön zu sehen (und fühlen, schmaaahaaaatz!)
Umso trauriger ist es, dass so wenigdraus gemacht wird. Dass ich in 3 Monaten nicht viel verändern werde, war mir auch vorher klar. Dass ich aber teilweise dazu aufgefordert werde, nur aufzupassen, dass sie sich beim Spielen nicht umbringen und das jede Idee abgewehrt wird, teilweise mit Begründungen wie "da machen die ehnicht mit" oder "wir sind zu wenig Betreuer", das mag ich nicht akzeptieren. Im Gegenteil, bei der Begeisterung der Kids glaube ich keine Sekunde, dass sie bei irgendwas nicht mitmachen. 
Und ich gebe mir selbst Recht, spätestens seit ich ein weiteres Projekt kennen gelernt habe, wo von Kindern und Betreuern das Einhalten gewisser Regeln verlangt wird. Der Trainer schlief bei meiner Ankunft zwar auch (10 Min nach Beginn der Trainingszeit), immerhin schien es ihm aber peinlich zu sein und bei der folgenden Show kann ich mir beim besten Willen auch nicht vorstellen, dass er öfters abwesend ist. Großartige Kunststücke, Akrobatik, traditioneller afrikanischer Tanz, großartige Schauspielkunst und lachende Kindergesichter bewiesen mir, dass hier die Regeln "du kannst kommen und gehen, wie du willst aber wenn du kommst a) duscht du täglich b) gehst du regelmäßig zur Schule und c) machst du bei einem Nachmittagsprojekt mit" nicht nur an der Wand stehen, sondern auch durchgesetzt werden. Und siehe da: die Kids verdienen mit der Tanzshow ihr eigenes Geld und haben richtigen Spaß (und zwar so viel, dass ich gleich mithoppelte und daraufhin zum samstäglichen Training eingeladen wurde. Herrje, mein letzter FlickFlack ist nun wirklich ein Weilchen her!) und es geht weiter: Konzept: Familie! wie das geht: ganz einfach (ja, es KANN so einfach sein): die Kids werden liebevoll und herzlich aufgenommen. Liebevoll aber streng. Ausbildung muss sein. Wer mit der Ausbildung fertig ist, gibt sein Wissen und Können, sofern möglich zurück ans Projekt. Zum Beispiel hat dieHausmama gerade ein Cafe eröffnet, dass nun von den Jugendlichen, die abgeschlossene Ausbildungen im Management und Gastrobereich haben, betrieben wird. Und zwar ausschließlich, die Hausmama sagte dazu schlicht, sie vertraue ihren Kids. Wundervoll! Das finanziert die Jugendlichen, die zu alt für's Projekt geworden sind, das Projekt selbst und schafft nebenbei noch Arbeitsplätze und ein gutes Selbstbewusstsein, weil die Ausbildung gleich angewendet wird. 
Entwicklungshilfe kann eben auch mal gut sein und dem Lachen nach zu urteilen geht es den Kids da so richtig gut. Sie kuscheln übrigens auch gern aber nicht halb so gern wie in dem Projekt, wo die Betreuer immer schlafen. Zufall oder fehlt da einfach nur was...? 
Jedenfalls sieht man ja, es geht auch anders. Die Sachen klappen vielleicht nicht so, wie ich mir das denke aber was solls, wird aus einem Klatschspiel eben ein wildes Gehämmere auf Tischen, wird aus einem Tanz eben "wer springt am höchsten" besser als Rückwärts zu 7t vom Tisch springen ist es ja wohl.
Mein großes Manko: immernoch die Sprache. Zwar kann ich inzwischen sagen, wohin sie gehen sollen, ob sie weitermachen oder aufhören sollen etc. trotzdem wäre ein fließendes Swahili sehr viel praktischer und hilfreicher. Zum Glück gibt's ja die Betreuer als Sprachunterstützung. Oder eben auch nicht. Naja Hand und Fuß und Wortbrocken tun's auch und die Kids selbst sind auch ganz tolle Lehrer, ich lerne also jeden Tag oder versuche es zumindest.
Eine Freiwillige, die seit 4 Monaten da ist, wollte neulich ein Selfie mit einem der Kinder Huckepack machen. Da die Kids aber aktiver als ihre Betreuer sind, hatte sie bald 7auf sich hängen und versuchte verzweifelt, sie abzuschütteln. Ich wollte ihr gerade helfen, als sie sagte (ich erinnere, 4!!!! Monate in Tansania) "oh nein, oh nein, ich wünschte, ich wüsste, was >nein< auf Swahili heißt!". "Hapana" antwortete ich trocken und ließ sie mit den Kletteräffchen allein.
Nobody's perfect aber irgendwo hört's doch auf.

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